Ewigkeit existiert nicht
Unendlichkeit - insbesondere im Hinblick auf die Raumzeit - hat in ihrer Unvorstellbarkeit für Menschen schon immer etwas faszinierendes. Um Dinge, Personen oder Ideen aufzuwerten, schreibt man Geschichten, die ihnen „ewige Gültigkeit“ und „Unsterblichkeit“ andichten.
In der Realität sieht unser Verhältnis zur Ewigkeit eher lächerlich aus. Die Lebensspanne eines Menschen beträgt nur in seltensten Ausnahmefällen 100 Umkreisungen unseres unbedeutenden Planeten um einen unbedeutenden Stern am Rand einer kleinen, unbedeutenden Galaxis in einem unbedeutenden Galaxien-Cluster der Raumzeit.
Unsere geschriebene Geschichte übersteigt diesen Zeitraum um nicht viel mehr als einen Faktor von 50, unsere ältesten Geschichten - wie etwa die Veden - wurden erst vor knapp 3000 Jahren niedergeschrieben, sind aber eine Grundlage von mehreren Weltreligionen.
Das zeigt aber die Macht unserer Geschichten über uns- überdauern sie doch unsere kurze Lebensspanne recht erheblich und die Bedeutung so mancher Geschichte und vor allem der Glaube an sie scheint mit dem Alter ins Unermessliche zu wachsen.
Wir selbst halten uns für die Krone der Schöpfung und sind zweifellos eine momentan sehr (zu?) erfolgreiche Art, existieren aber als „Homo sapiens“ noch keine 200.000 Jahre, was sich gegenüber den fast 2 Millionen Jahren, die Hominiden der Art „Homo-Erectus“ erfolgreich existierten, recht bescheiden ausnimmt.
Zeitlich gesehen sind wir also sicher nicht die erfolgreichste Art des Planeten, zumal es Arten gibt, die sich über hunderte von Millionen Jahren kaum verändern mußten und alle Eiszeiten, Warmzeiten und Faunenschnitte ohne Schwierigkeiten überstanden. Wenn es also heute noch Menschen gibt, die vor diesem Hintergrund nur aufgrund einiger -nur nach menschlichen Vorstellungen recht alten- Geschichten recht locker mit Begriffen wie „Ewigkeit“ herumspielen und das Alter der Welt nur aufgrund solcher Märchen auf 6000 Jahre festlegen wollen, hat der Einfluß von Geschichten auf den Geisteszustand der Leser schon fast etwas Bedrohliches.
Vielleicht war die in unserer Kultur gepflegte „Schöpfungsgeschichte“ nur mal ein netter Zeitvertreib am neolithischen Lagerfeuer und der ursprüngliche Erzähler/Autor wäre entsetzt, wenn er erleben könnte, was aus seiner Geschichte heute geworden ist.
Raumzeit
Doch gibt es so etwas wie Ewigkeit real? Ziemlich sicher hat das, was wir als Raum und Zeit kennen, wohl im Urknall seinen Anfang. Zu fragen, was davor war ist eine unzulässige Fragestellung, weil es so ein Phänomen wie Zeit eben gar nicht gab bzw. „außerhalb“ der Raumzeit nicht geben kann - bereits die Fragestellung nach einem „außerhalb“ ist also schon in sich unsinnig - und das gilt auch für die Zeit.
Das es den Urknall gab, gilt seit der Beobachtung der kosmischen Hintergrundstrahlung als erwiesen, auch wenn es viele umstrittene Theorien (z.B. die Superstringtheorie) darüber gibt, wie er ablief. Dabei geht es inzwischen wohl nur um die allerersten Sekunden. Ein Hauptproblem dabei ist, daß Zeit und die damit verbundene Kausalität - das Prinzip von Ursache und Wirkung - dabei überhaupt erst entstanden ist - die Phänomene Raum und Zeit in dieser frühen Phase also noch nicht das waren, was wir kennen. Das gilt gerade für die Kausalität- einem Fundament von dem, was wir „Logik“ nennen, Naturgesetze wie die der Thermodynamik darauf aufbauen und die bereits in der subatomaren Welt der Quanten ihre Gültigkeit oder zumindest Beobachtbarkeit verliert.
Logik ist also eine Folgeerscheinung jener Raumzeit - dem Effekt daß sich vier von einer noch unstrittenen Zahl (11?, 16?) von Dimensionen seit dem Urknall entfalteten und sich seither in die Ewigkeit und die Unendlichkeit auszudehnen begannen. Ob die Phänomene Raum und Zeit wirklich „ewig“ andauern, ist auch anzuzweifeln. Eine Kollision unserer unbedeutenden Galaxis mit einer anderen oder die zu erwartende Supernova - Explosion eines Riesensterns wie Beteigeuze ganz in unserer Nachbarschaft können unserer Zeit buchstäblich ein jähes Ende setzen.
Damit meine ich nicht die Lebenszeit der Menschen oder die Existenz unseres Sonnensystems an sich, sondern das tatsächliche Ende des Phänomens Zeit, das erfolgt, wenn diese unsere Welt hinter den Ereignishorizont eines schwarzen Lochs gerät. So ein schwarzes Loch entsteht zum Beispiel beim Kollaps eines solchen Riesensterns und hat eine große Anziehungskraft auf die umgebenden Himmelskörper. Hinter diesem Horizont findet unsere Raumzeit mit all ihrer Kausalität und Logik nämlich ein Ende- das schwarze Loch kennt keine Ausdehnung, die Dimensionen rollen sich wieder in sich zusammen und außer einem in jeder Hinsicht ausdehnungslosem Punkt sehr großer Masse existiert nichts- zumindest nichts, was für uns einen „Sinn“ ergibt und über unsere „Sinne“ oder auch nur Vorstellungskraft erfahrbar wäre.
So ein Phänomen wie ein Ereignishorizont - oder die totale Unzugänglichkeit dessen, was dahinter liegt (allein die Fragestellung nach dem „dahinter“ ist ja schon ein Widerspruch in sich) - regt aber zumindest die Phantasie an und ist Stoff für Geschichten - oder Religionen.
Unser Horizont hat sich erweitert und verblüffenderweise passen die abstrakten mythischen Vorstellungen der vedischen und taoistischen Religionen/Philosophien besser zum modernen physikalischen Weltbild als die der biblischen, aber das Grundproblem bleibt: Wir müssen phantastische Geschichten erfinden und Modellwelten bauen, um uns einige Vorgänge in der realen Welt beobachtbarer oder auch nur vorstellbarer zu machen. Modelle der Ewigkeit oder unvorstellbarer zeitlicher oder räumlicher Ausdehnungen gehören dabei immer dazu.
Animismus
Recht ambivalent ist auch das Verhältnis zu unserer eigenen Art. Einerseits halten wir uns für die einzigartige Krone der Schöpfung - und erheben diesen Führungsanspruch zumindest in unseren Religionen für den gesamten Kosmos, andererseits suchen wir alles menschliche in allem vom Stein am Wegesrand bis zum Nebel ferner Galaxien. Gelingt uns das nicht, erfinden wir Geschichten, in denen wir Steine, Pflanzen und Tiere „beseelen“ und mit menschlichen Eigenschaften ausstatten oder mit Werkzeugen solange bearbeiten, bis sie tatsächlich menschlich aussehen.
Ein großer Teil unseres Gehirns hat keine andere Aufgabe als menschliche Gesichter zu erkennen oder deren Emotionen in deren Mimik oder Gestik zu interpretieren. Die Regenbogenhaut unserer Augen hat sich verkleinert, sodaß wir „das Weisse“ im Auge des Gegenübers sehen können, was uns bei dieser Interpretation unterstützt. Menschen denen das trotzdem nicht gelingt, fallen außerhalb unserer gesellschaftlichen Normen und gelten etwa als „autistisch“ oder „schizoid“.
Ein Abfallprodukt dieser überdimensionierten Gehirnareale ist aber sicher der Animismus - unser Bestreben in allem und jedem menschliche Verhaltensmerkmale und Eigenschaften zu sehen oder hinein zu interpretieren. Jedes kleine Kind malt der Sonne ein Gesicht, die Werbung veziert jedes Produkt - vom Auto über Fernseher bis zur Klobrille mit freundlichen Gesichtern, beim Uhrmacher stehen alle Uhren der Auslage auf der Smiley- Einstellung 10 Minuten vor 2 Uhr.
Auf der anderen Seite sollen Augen mit einem „stechenden“, „bösen Blick“ die überall in der Umwelt gesehenen Dämonen und „bösen Geister“ abwehren. Die Erstellung von Abbildern von Menschen oder gar anderen Lebewesen ist in vielen Kulturen ein Tabu- denn ein Teil der „Seele“ könnte ja vom Orignal in das Bild gelangen- so ist die Vorstellung.
Wie die Beispiele aus der Werbung zeigen, ist auch der moderne Mensch den animistischen „Nebenwirkungen“ dieser Gehirnareale ausgeliefert- wer schimpft nicht mal auf das defekte Auto oder den Computer und unterstellt dabei der wohl nach den Vorstellungen aller Religionen seelenlosen Maschine einen bösen Willen? In Japan segnen Shintu-Priester Computer gar gegen Virenbefall und anderes Ungemach, vor Kriegen segneten hierzulande Priester sogar die Waffen.
Am stärksten werden diese animistischen Sehnsüchte natürlich schon immer von Erzählern phantastischer Geschichten ausgelebt. Dort gibt es erdachte Welten mit einer unglaublichen Vielfalt hominider Rassen. Elfen, Riesen, Zwerge, Hobbits, Goblins, Vampire, Klingonen, Romulaner oder stärker abstrahierte, aber mit menschlichen Eigenschaften besetzte Geister, Gespenster, Dämonen, Titanen oder Götter beleben diese literarischen oder mythischen Welten.
Dao, Nirvana, Brahman
Häufig wird eine bestimmte Eigenschaft oder eine Verhaltensweise einer abstrakten Entität zugeordnet, die dann bei Bedarf auch menschliche oder animalische Gestalt annehmen kann, von einem Menschen Besitz ergreift oder als Avatar in einem Menschen materialisiert. Das ist gerade bei den Frühformen von Schamanismus und der Vorstufe bedeutender Religionen so gewesen- man betrachte sich einmal den Pantheon der griechischen, etruskischen oder ägyptischen Gottheiten. Schamanen rufen ja auch direkt Götter oder Dämonen an- werden freiwillig zu deren Medium.
Später setzt dann meist ein Prozess mit den Werkzeugen der Logik - Klassifizierung, Generalisierung und Abstraktion - ein, der schließlich zu Dualismus oder Monismus führen kann. Womit wir wieder bei der Ewigkeit wären- die dabei der höchsten Abstraktionsstufe, dem Dao, Nirvana, Brahman oder der Dreifaltigkeit zugedacht wird.
Aber all diese Abstraktionsschritte befriedigen nicht die animistischen Grundbedürfnisse, die sich als „Aberglaube“ oder „Übersinnlichkeit“ bemerkbar machen- eine Religion, welche ihre schamanistischen Wurzeln ignoriert und nicht Rituale und Geschichten bieten kann, die dieses genetisch verankerte Grundbedürfnis nach Mystik befriedigt, treibt ihre Anhänger in die „Esoterik“ oder „heidnische“ Kulte, welche oft recht fragwürdige Ziele anstreben, für die sie ihre Anhänger instrumentalisieren.
Die mit Mustererkennung (z.B. auch Gesichter, Gesten) beschäftigten Hirnareale arbeiten nicht nach den Gesetzen der Kausalität/Logik, sondern intuitiv/assoziativ und meist unbewußt. Dem Bewußtsein zugänglich wird ihre Funktion erst, wenn die (logischen) Gedanken abgeschaltet werden, also im Traum, in tiefer Meditation oder beim Sterben. Dann erschließt sich eine andere, visuelle oder bei entsprechender Veranlagung synästhetische Welt, in der raumzeitliche Phänomene und die damit einhergehende Kausalität und Logik abgeschaltet sind.
Auch hier sind wir wieder bei der Ewigkeit- oder der Wahrnehmung von etwas, was man leicht dafür halten kann, weil die Raumzeit dort aufgehört hat zu existieren. Vielleicht gibt es also tatsächlich so etwas wie die Erleuchtung- ein Begreifen, Fühlen einer Welt jenseits des Urknalls, der schwarzen Löcher und der Quantentheorie: Raum, Zeit, Kausalität und Logik sind die Realität, in der wir leben.
Es gibt aber tatsächlich noch eine Wirklichkeit jenseits davon, in der all diese Merkmale der Realität nicht vorhanden sind, in der ein Moment mit der Ewigkeit gleichbedeutend, also bedeutungslos ist.
Wo ein Ort, an dem man sich aufhält gleichbedeutend ist mit allen Orten gleichzeitig ist - und einem beliebigen Davor und Danach. Genau dieser Vorstellung entsprechen philosophisch Dao, Nirvana und Brahman. Die Welt vor dem Urknall oder nach ihrem Verschwinden in einem schwarzem Loch, eine Welt in der alles schon passiert ist, was jemals passieren wird, weil alles Gegenwart ist, gleichzeitig und ohne kausalen Zusammenhang passiert ist.
Das alles ist total unlogisch und widersprüchlich? Genau darin liegt der Sinn. Auch für gute Geschichten. Eine phantastische Geschichte muß nicht unbedingt logisch aufgebaut oder realistisch sein. Sie kann einen Traum schildern, sie sollte die Eindrücke und Empfindungen der Protagonisten glaubwürdig vermitteln und beim Leser einen Eindruck hinterlassen- ihm vielleicht helfen, seine eigene surrealistische Seite besser zu verstehen. Solche Geschichten wünsche ich mir auf dieser Seite.
Fazit
In leichter Abwandlung eines bekannten Koan:
- Wer sagt, es gibt die Ewigkeit, ist ein verblendeter Idiot.
- Wer sagt, es gibt keine Ewigkeit, ist ein verblendeter Idiot.
- Was also ist die Ewigkeit?
Der Kot der Taube frisst in die alte Mauer die Spuren der Zeit
Wer immer noch keine Antwort weiß, dem kann vielleicht der ewig überraschte Wen weiterhelfen.