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Jane's Castle

Ausblicke

jane stand am Schlafzimmerfenster ihrer neuen Wohnung und blickte in die herbstliche Landschaft. Draussen war es windig, direkt unter ihrem Fenster lag der Weg der zur Burg hinauf führte. Die von der Trockenheit des Spätsommmers gekräuselten Finger der Kastanienblätter ermöglichten dem schwachen Wind, sie über den sandigen Weg zu rollen.

Hinter dem Weg fiel der Hang steil und felsig ab- der Burgberg war zu steil für die sonst fast überall im Mittelrheintal zu findenden Weinberge - um so besser war die Aussicht über das Rheintal von dem Fenster aus, an dem Jane jetzt stand. Ihre Augen streiften die Reben an den weniger steilen Hängen auf der anderen Rheinseite, deren gelb gewordene Blätter in der milden Nachmittagssonne nun wie gold glänzten.

Obwohl der Hang auf ihrer Rheinseite im Schatten lag, war es auch ohne künstliche Beleuchtung noch sehr hell in ihrem Schlafzimmer, denn ihr Haus- das wohl einmal das Wachhaus der Burgwachen waren, stand wie auf einer Klippe dicht am felsigen Steilhang. Nur der schmale Weg, der vor dem Eingang ihres Hauses direkt zum Burgtor abbog, trennte das Wachhaus vom Abgrund, sodaß man auch alle Verkehrswege unten am Fluß bequem überblicken konnte.

Dort unten rumpelte derzeit ein langer Güterzug durch den Schatten auf ihrer Rheinseite und verschwand im nahen Tunnel, sodaß das Rumpeln doch bald mit einem dumpfen Grollen endete.

Pfalzgrafenstein

Eigentlich wußte Jane nicht viel über die Geschichte der Burg und sie hatte eigentlich auch nie wirklich vor, hierher zu ziehen. Pfalzgrafenstein 1) war im finstersten Mittelalter von den Grafen zu Katzenelnbogen erbaut worden, um die Handelswege hier am Rhein zu sichern, also die vorbeiziehenden Kaufleute vor Räubern - oder Ihnen selbst - zu schützen. Das Nadelöhr Mittelrheintal war zu ihrer Zeit jedenfalls eine so lukrative Einnahmequelle, daß Pfalzgrafenstein nur eine von vielen solcher Burgen war- es existiert ja dort kaum ein strategisch oder taktisch günstiger Hang, auf dem nicht eine solche Burg oder ihre Reste stehen.

Dem Treiben der Fürsten, Lehensherren, Raubritter und einfachen Räuber und ihren mehr oder weniger prunkvollen und wehrhaften Behausungen machte aber spätestens der pfälzische Erbfolgekrieg ein Ende, in dem auch Pfalzgrafenstein fast völlig zerstört wurde. Außer den Wehrmauern, dem Burgfried und dem Wachhaus, das jetzt Jane gehörte und früher als Poststation und Herberge an der oben ins Hunsrück führenden Strasse noch gebraucht wurde, verfiel alles oder wurde von den Bauern als Baumaterial für andere Gebäude genutzt.

Das änderte sich erst so um 1860, als ein romantikbesessener, reicher Sektfabrikant die Trümmer von den verarmten Nachkommen jenes vergessenen Adelsgeschlechts erwarb, das noch im Besitz der Burg und einiger Hektar steiler, ertragsarmer Weinberge am Rand des Burgbergs war. Der Fabrikant ruinierte sich beinahe bei dem Versuch, aus Pfalzgrafenstein ein prächtiges neogotisches Schloß zu machen, daß allerdings nicht mehr viel mit der einstigen Wehranlage gemein hatte. Jedenfalls blieb die Burg - oder besser das Schloß mit allen zugehörigen Liegenschaften - im Besitz der Familie des Sektfabrikanten bzw. dessen Sektkellerei, bis diese im globalen Wettbewerb mit einhergehender Konsolidierung von multinationalen Lebensmittelkonzernen aufgekauft und -weil unrentabel- zerschlagen wurde. Die Burg, die bis 1970 noch von der Familie des Sektfabrikanten bewohnt war und dann nur noch als Touristenfalle für erst amerikanische und dann japanische Touristen genutzt wurde, wurde mit dem Ausbleiben der Touristen auch als unrentabler Betrieb geschloßen und ging an ein luxemburgisches Bankenkonsortium.

In der Hype der New Economy legte die Bank einen Immobilienfonds auf und renovierte das Anwesen zu einem „Wohnpark“ aus Luxusappartements und Studios und versprach den Anlegern eine gewaltige Rendite. Zu jener Zeit ließ sich auch Jane beschwatzen und kaufte mit einem großen Teil ihres Vermögens Anteilscheine der Burg als Altersvorsorge. Mit dem Platzen der New-Economy-Blase fanden sich aber keine Käufer mehr für so ein luxuriöses Ambiente, die meisten, erst halb fertig gestellten Renditeobjekte standen leer, die Finanzierung platzte und Pfalzgrafenstein war nun eine Bauruine mit ungewisser Zukunft. Nach zähen juristischen Verhandlungen schaffte Jane es, wenigstens mit dem ehemaligem Wachhaus der Burg, dessen Renovierung schon weit fortgeschritten war, abgefunden zu werden.

Da zumindest das Wachhaus im Gegensatz zur neogotischen Burg noch fast im Originalzustand war, konnte sie sogar mit Zuschüssen vom Denkmalamt rechnen, wenn sie die Renovierung auf eigene Kosten und im Sinne des Denkmalamts abschloß.

Als sie in einer Phase schlechter Auftragslage befürchten mußte, die hohe Miete für ihr Loft in Frankfurt nicht mehr zahlen zu können, war sie nun entschloßen, sich hier auf dem Burgberg niederzulassen- und da stand sie nun am Fenster des Raums, daß nun ihr Schlafzimmer werden sollte und genoß den herrlichen Ausblick über das Rheintal.

Rückblicke

Jane ging vom Fenster weg und sah sich im fast leeren Raum um, der noch mehr einer Baustelle glich als ihr Loft in Frankfurt, daß mal eine Werkhalle einer Fabrik für Haushaltskleingeräte war, die in den 80ern in Konkurs ging.

Ein gemütliches Ambiente hatte Jane nie gekannt oder gewollt und so war ein leerer Raum mit ein paar Matratzen auf dem Boden und als Tisch und Stühle mißbrauchte Umzugskartons auf dem Boden und eine nackte Glühbirne an der Decke für sie nichts ungewohntes. In ihrem Loft sah es auch nach jahrelanger Bewohnung nicht sehr viel anders aus- ein uninformierter Besucher konnte sich nie des Eindrucks erwehren, sie sei gerade erst eingezogen oder am renovieren- was in diesem Fall ja sogar mal ausnahmsweise zutraf.

Sie war eine vielbeschäftigte Frau, die sich voll auf Ihre Karriere im Umfeld der Marktforschung konzentrieren mußte und hatte für Romantik oder Behaglichkeit einfach sowenig Zeit, daß sie das einer nur ihr bekannten Ordnung gehorchende Chaos in ihrer persönlichen Umgebung sicher gar nicht wahrnahm.

Wurzeln

Jane hieß eigentlich gar nicht Jane, sondern wurde in einem Dorf im Hunsrück als Gertrude Janiĉek geboren. Ihre Eltern -die Mutter war Deutsche, der Vater Tschesche- kamen nach dem zweiten Weltkrieg aus Böhmen als Flüchtlinge hierher, wo sie eher feindselig aufgenommen wurden.

An ihre Kindheit konnte sich Jane kaum erinnern, nur daran, häufig von anderen Kindern als Polacken-Trude gehänselt worden zu sein. Mit viel Fleiß schafften es ihre Eltern aber doch, einen kleinen Installateurbetrieb aufzubauen, ihr Vater war den ganzen Tag auf Baustellen unterwegs und ihre Mutter machte die Buchhaltung. Die Geschäfte liefen immer besser, bis ihr Vater 1997 einen Schlaganfall bekam, wodurch er bis heute halbseitig gelähmt und grenzdebil war. Da er nicht mehr arbeiten konnte, trank er und machte Jane's Mutter das Leben zur Hölle. Ihre Mutter versuchte ihr Bestes, den Vater zu pflegen, sofern sie nicht in der Kirche vergeblich Halt suchte, denn auch sonst half ihr niemand.

Die Menschen im Hunsrück fühlten sich nun erst recht in der Ansicht bestätigt, asoziale Polacken hätten in ihrer Gemeinde nichts verloren. So blieb Jane's Mutter nur noch die Flucht in eine Traumwelt, aus der sie am liebsten nie wieder erwachen würde- bei Ihrem Alkoholkonsum und totaler Vernachlässigung der eigenen Gesundheit würde sich dieser Wunsch wohl auch bald erfüllen.

Wachstum

Viel Liebe oder gar zärtliche Zuwendung hatte Jane als Kind nicht erfahren. Für die isolierte Familie war stetige Arbeit bis an die Leistungsgrenze eine Selbstverständlichkeit ohne Alternativen. So lernte Jane schon in der Schulzeit, ihrer Mutter bei der Buchhaltung oder dem Erstellen von Angeboten zu helfen, denn sie sollte es einmal besser haben. Bereits in der Grundschule erbrachte sie sehr gute Leistungen und es war selbstverständlich, daß sie das Lyzeum besuchen würde, wo ihr schulischer Erfolg dank Intelligenz und sehr großem Ehrgeiz bis zum Abitur herausragend war. Bei ihren Mitschülern machte sie das nicht unbedingt beliebter, zumal sie „unmöglich herumlief“ und etwas beleibt war, denn so etwas wie Genuss fand sie allenfalls beim Essen.

Nach den Erfahrungen, welche sie und ihren Eltern und allen Mitmenschen gemacht hatte, beschränkte sie soziale Kontakte auch auf das für ihren Erfolg notwendige Übel- denn persönlicher Kontakt zu Menschen über das absolut notwendige Maß war ihr unangenehm- sie verstand auch die Gesten, Körpersprache und den Humor anderer Menschen immer weniger- sie wollte damit aber auch gar nichts zu tun haben.

So ging es dann auch beim Studium der Betriebswirtschaft und Geologie in Mainz weiter. Es waren die 90er Jahre, man gab sich locker und flippig, junge Leute, Studenten trafen sich in Diskotheken, man kam sich körperlich näher, ohne sich wirklich nahe kommen und andere Menschen verstehen zu müssen.

Gertrude, die ihren Vornamen haßte und den Nachnamen Janiĉek, den keiner richtig aussprechen oder sich merken konnte erst recht, nannte sich fortan schlicht Jane oder JJ und wurde auch so genannt. Sie verdiente sich mit McJobs Geld dazu, um Studium zu finanzieren, sich flippige Klamotten zu kaufen und auf Rave-Parties zu gehen. Sie hatte lockere Beziehungen, aber keine Verpflichtungen, verkrachte sich mit ihren Eltern, machte was sie wollte und schien das erste Mal in ihrem Leben glücklich zu sein.

Trotzdem blieb sie ehrgeizig, schloß ihr Studium mit Bravour ab, suchte den ersten „richtigen“ Job und fand ihn dank guter Zeugnisse bei einem führenden Hersteller für kosmetische Produkte und Zahncreme in Mainz in der Produktmarketing-Abteilung.

Hier kam ihre Karriere schnell in Fahrt, sie erstellte Umfragen, machte Auswertungen und wurde rasch zur Assistentin eines wichtigen Produktmanagers und belieferte in prompt mit allen Zahlen und Materialien, die dieser brauchte, um sich weiter zu profilieren. Er wurde denn auch bald befördert und Jane fühlte sich übergangen, ausgenutzt - und war es wohl auch, denn für sie änderte sich nichts außer einem neuer Vorgesetzter aus der Seilschaft ihres aufgestiegenen Chefs, der nun nachrückte.

Der neue Chef gab sich gönnerhaft und gesellig und zeigte großes Interesse an Jane, sein Interesse bezog sich aber weder auf ihre Arbeit noch ihr Leben- kurzum, er wollte einfach nur Sex mit ihr. Jane wurden seine fortwährenden, plumpen Annäherungsversuche und Zoten bald lästig und sie verachtete ihn nicht nur deshalb, sondern vor allem wegen seines Mangels an Ehrgeiz, Fleiß und Kompetenz. Als das unausweichliche geschah und er zudringlich wurde, beschwerte sie sich beim Betriebsrat, was sie aber schnell bereute.

Die Frauenbeauftragte hängte den Vorfall an die große Glocke, es wurde viel Staub aufgewirbelt, von dem leider der meiste Dreck letztlich an Jane hängenblieb. Der gesellige Möchtegern- Frauenheld und seine Clique verbreiteten Gerüchte über Jane's Lebenswandel und ihre sexuellen Präferenzen, die Schuld an der Abmahnung des Sittenstrolchs wurde indirekt ihr gegeben, kein anderer Mann war bereit, mit ihr zusammen zu arbeiten und die Frauen hielten sich ihr gegenüber bedeckt.

Schließlich blieb ihr nur die Kündigung und durch ihr Verhandlungsgeschick ein paar gute Referenzen und eine fette Provision.

Unabhängigkeit

Nach diesen Erfahrungen als Angestellte machte Jane sich selbstständig, denn sie hatte nun etwas Geld, die nötige Berufserfahrung und Kontakte zur Leuten in der Marketingszene- auch noch in der alten Firma und deren Wettbewerb. Die Qualität ihrer Arbeit war bekannt und sie brauchte um Aufträge nicht lange zu betteln und sie verdiente natürlich auch sehr viel mehr Geld als Freelancerin.

Ihre Spezialität wurde die bessere Positionierung von Produkten am Markt respektive die Aufwertung von Produkten. Neben Marktbeobachtung betrieb sie aggressiv PR und ihr gestiegenes Selbstbewußtsein äußerte sich in einer Dominanz und Überredungskunst, der kein Fachredakteur oder Einkäufer wiederstehen konnte und sie plazierte mühelos Produkte in Nischen und baute Supply-Chains auf, wie es vor ihr nur wenige geschafft hatten. Als Frau wurde sie meist anfangs unterschätzt und so mancher arrogante Schwätzer bemerkte zu spät, daß er ihr nichts entgegen zu setzen hatte.

So wurden immer größere Firmen und Konzerne zu ihrer Kundschaft, ein weiterer Ausbau ihrer geschäftlichen Tätigkeit scheiterte nur daran, daß sie nicht bereit war, im größeren Stil Personal einzustellen oder gar einen Geschäftspartner zu suchen. Denn nahezu all ihre Erfolge basierten auf einer einfachen Regel: Traue niemandem.

Trotz allem konnte sie viele Aufträge von einem multinationalen Lebensmittelkonzern, genauer dessen Tierfutterabteilung, an Land ziehen. Schon Mitte der neunziger setzte sie voll auf Innovation und führte Befragungen über das Internet durch, baute Web-Communities von Tierliebhabern auf und konnte so ohne Werbekosten Trends setzen und erfahren und war mit ihren Produktvorschlägen wesentlich größeren Marketingagenturen um Monate oder gar Jahre voraus. Der Lebensmittelkonzern dankte es ihr mit immer größeren Aufträgen und sie war eigentlich viel zu beschäftigt, um sonst noch irgend etwas in ihrem persönlichen Umfeld wahr zu nehmen.

Der Schlaganfall ihres Vaters und der damit einhergehende körperliche und geistige Verfall auch ihrer Mutter war ihr so fern und gleichgültig wie der oft zitierte Sack Reis in China. Sie schickte Geld, das dankend angenommen und wohl schnell in Alkohol umgesetzt wurde.

Hatte sich jemals einer um ihre Probleme gekümmert? Sie hatte nun genug mit sich selbst- präziser gesagt ihrer Arbeit - zu tun und Mitgefühl und Empathie waren etwas für Looser- der sichere Weg in die Bedeutungslosigkeit und vielfältige Abhängigkeiten.

Doch sie hatte es geschafft und würde alles aus dem Weg räumen, was sich ihr in den Weg stellte,wenn gar nix mehr half, half Methylphenidat, daß sie über einen Arzt ihres Vertrauens (soweit dies Wort für sie eine Bedeutung hatte), in jeder gewünschten Menge bekam.

Einblicke

Doch ihr passierten zunehmend recht merkwürdige Dinge. Dinge die sie nicht verstand.

Ihr ging es doch noch nie so gut wie in ihrem Leben. Aber ihre Stimmungen wechselten, wechselten zu schnell. Sie konnte nicht mehr schlafen, wurde in der Nacht plötzlich von Weinkrämpfen oder Lachanfällen geschüttelt, ohne daß es dafür irgendeinen Anlass gab. Ihr Konzentrationsvermögen nahm rapide ab, sie vergaß wichtige Dinge, machte Fehler. Daß Menschen, die mit ihr zu tun hatten, sie verunsichert oder gar besorgt oder betroffen ansahen, fiel ihr nicht auf.

Sie bemerkte eigentlich nur, daß auf einmal die Aufträge weniger wurden oder schließlich ganz ausblieben. Es war abzusehen, daß sie bald ihre Miete für das Loft nicht mehr zahlen konnte. Darum war sie jetzt hier.

Sir Peter

In Gedanken versunken hörte sie nun ein Scharren. Sie besann sich, daß sie heute, wo sie hier ihre erste Nacht verbringen wollte nicht allein her gekommen war. Es gab jemanden, der ihr näher stand als jeder Mensch, näher als ihre Eltern, die sie trotz allen Leids aus irrationalen Gründen, die sie selbst nicht verstand, aus vollem Herzen haßte. 2).

Das einzige Wesen, daß ihr voll vertraute, daß sie ihrer selbst Willen zu begehren schien, Zuwendung bei ihr suchte und dem sie das alles erwiedern mußte- denn sie konnte nicht anders.

Interessanterweise war sir_peter - wie sie ihn nannte - aber kein Mensch, sondern ein inzwischen recht behäbiger, fetter, stets gelassen und zufrieden wirkender Britisch-Kurzhaar-Kater.

Da gab es dieses Photoshooting bei ihr im Loft. Es ging darum, Premium- Katzenfutter, daß zuvor teuer in 75g Aluminiumdöschen verpackt wurde, zum nahezu gleichen Preis in preiswert herzustellende Kunststoffbeutelchen zu verkaufen. Für diese Kampagne, die übrigens einer ihrer tollsten Erfolge vor zwei Jahren war, kam Sir Peter, der zu dieser Zeit den Namen aber noch nicht hatte, in ihr Studio- natürlich mit einem Hofstaat aus Kameraleuten, Marketing-Fuzzis, Grafikern und einer Tierpflegerin von der Agentur, welche Katzen für Photoshootings verlieh.

Während Jane am Laptop saß und über den Beamer ihr Konzept, ihre Werbeargumente, ihre Community-Aktionen und ähnlich nur für Marketing-Fuzzis spannende Powerpoint-Folien präsentierte, sich aber vielleicht etwas weniger hektisch dabei bewegte, passierte etwas Eigenartiges.

Sir Peter, damals noch ein ziemlich verspieltes junges Katerchen, befand sich nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses der Anwesenden und das Spiel mit den vielen spannenden und zum Teil auch fressbaren Dingen auf Janes Loft-Fußboden, der zu lange keine Raumpflege mehr erfahren hatte, langweilte ihn nur noch. Die vielen Wollmäuse unter den diversen Kunstoffsesseln, Büro- und Regiestühlen zeigten sich als Spielverderber und wollten nicht länger mitspielen, wenn Sir Peter sie von einem Möbel unter das nächste gekickt hatte und so wurde der Kater müde und machte sich auf die Suche nach einem weichen, warmen Schlafplatz.

Verblüffenderweise schien der für einen jungen Kater geeignetste Schlafplatz im Loft Janes Schoß zu sein. Am meisten verblüfft war aber wohl Jane selbst, als sich mitten in ihrem Vortrag ein warmes, zartes Fellbündel auf ihrem Schoß breitmachte und laut zu schnurren begann.

Sie konnte ihre Verlegenheit nicht verbergen, begann zu stottern, errötete und sah ein Lächeln in den Gesichtern ihrer Zuhörer, die schon mitgebommen hatten, was sich hier abspielte. Als die Tierpflegerin schuldbewußt dreinschauend zu Jane kam, um ihr den Kater vom Schoß zu nehmen, wehrte Jane die Pflegerin mit einem ausgestreckten Arm ab- verstand ihr eigenes Verhalten nicht und wurde noch verlegener.

Noch unverständlicher war für Jane, wieso sie in der Folge noch drei Photoshootings mit Sir Peter veranlasste, die eigentlich gar nicht mehr nötig waren, weil die Werbemaschinerie bereits auf Hochtouren lief. Besonders eigenartig war, daß Jane nach dem zweiten überflüssigem Shooting die Tierpflegerin bat, Sir Peter doch gleich für den nächsten Tag bei ihr im Loft zu lassen. Daß der Kater einen großen Teil der Nacht am Fußende ihres Bettes verbracht hatte, verschwieg sie am folgenden Tag wohlweislich.

Dafür outete sie sich aber mit der Frage an die Tierpflegerin der Photoagentur, was denn so ein Kater kosten würde. Der genannte Preis für das ausgesuchte und ausgebildete wunderschöne Tier war horrend, aber Jane schrieb wortlos und ohne langes Nachdenken einen Scheck und Sir Peter - der Kater, der in Janes Augen wohl eine Art Reinkarnation von Peter Ustinov war, blieb fortan bei ihr im Loft und war jetzt hier mit ihr im Wachhaus von Pfalzgrafenstein angekommen und hatte jetzt Hunger.

Schlaf

Auch wenn Jane in der letzten Zeit vieles vernachlässigt hatte, vor allem sich selbst, galt das nicht für Sir Peter, denn der meldete sich recht spontan und nachdrücklich, wenn ihm etwas fehlte. Die Kiste, an der er nun kratzte, war mit Premium-Katzenfutter in Blechdöschen gefüllt- die eigene Werbebotschaft verfing bei der Verfasserin nicht und außerdem hatte irgendein mitfühlender Mensch oder Spaßvogel vom Management des Lebensmittelkonzerns sie mit einigen Jahresrationen der teuren Katzenleckerei beschenkt, als er von ihrem Katzentick erfuhr. So war für Sir Peters Zukunft gesorgt- solange er Jane ein bißchen an seine kätzischen Bedürfnisse erinnerte- und die bestanden eben nicht nur aus Futter und Jane erfuhr und empfand Zuwendung und Vertrauen- wenn auch nur zu und von einem Tier.

Schlaflosigkeit war dem Kater auch völlig unbekannt, seine -wohl auch durch beträchtliches Übergewicht- inzwischen verursachte Gelassenheit und Ruhe wirkte auch auf Jane irgendwie beruhigend- vielleicht stärker und vor allem schneller als manch ein Medikament, daß sie einnahm, um Ruhe und etwas Schlaf zu finden.

So war es auch in der ersten Nacht in ihrem neuen Domizil. Nachdem der Kater abgefüttert war und sie das Bett, d.h. ihre auf dem Boden liegenden Matratzen mit einem frischen Laken bezogen hatte, worauf sich Sir Peter sofort darauf legte und sich zu putzen begann, hatte sie auch nicht mehr viel Motivation, weitere Kisten auszupacken oder gar mit Renovierungsarbeiten zu beginnen. Sicher war sie auch vom Transport ihrer Habseligkeiten vom geliehenen Kleintransporter im Burghof ins Haus angenehm physisch erschöpft- sie würde endlich einmal wieder gut schlafen können.

Morgen war auch noch ein Tag. Nicht nur ein Tag, sondern ein neuer Lebensabschnitt, denn sie hatte buchstäblich alles hinter sich gelassen.

Erst einmal entspannt erwartete sie, was ihre nicht ganz freiwillige Eremitage an diesem Ort, der so viel vergangenes, vergessenes und noch nicht entdecktes noch vor ihr verbarg, ihr bringen würde.

Vielleicht war ihr da noch nicht klar, wieviel mehr daß nicht nur für den Ort, sondern vor allem sie selbst galt 3).

Wo geht's hier weiter?

Die Geschichte bisher ist nur eine Keimzelle (siehe nichtlineare_interaktive_erzaehlung). Wie auf der willkommen Seite kann die Geschichte hier verzweigen, indem nachfolgend neue Links zu neuen Handlungssträngen ergänzt werden. Dabei will ich gar nicht entscheiden, ob es einen Haupt-Handlungsstrang gibt- wahrscheinlich ergibt sich der Zweig eines Baums, der zum Ast wird von selbst.


Was danach passierte Autor Kommentar
entruempelung Klaus ein bißchen surrealistisch: Jane's Verhältnis zu sich selbst
der_empfang Klaus Geschichte in Bearbeitung
1)
Hier ist mir leider ein Lapsus unterlaufen: Pfalzgrafenstein gibt's tatsächlich im Mittelrheintal, liegt aber bei Kaub IM Rhein und nicht auf einem Berg
2)
Jane's Kindheit läßt viele Fragen offen, weil sie sich an so wenig erinnert. Der Haß auf den Vater könnte vielleicht sogar auf sexuellen Mißbrauch hindeuten- was häufig zu schizotypischen oder Borderline-Störungen führt
3)
spätestens jetzt sollte klar sein, daß Pfalzgrafenstein, mit seiner wechselvollen, aber größtenteils im Dunklen liegenden Geschichte vor allem eine Metapher auf Jane's Seele ist

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